Wochenbett-Depressionen

„Ich habe mich so sehr auf mein Kind gefreut und jetzt sitze ich da und könnte den ganzen Tag weinen. Ich fühle mich hilflos und als Versagerin, weil ich keine glückliche Mutter bin.”

Ein Kind ist ein großes Geschenk des Lebens und ein kleiner Mensch ist etwas ganz besonderes. Es ist aber keineswegs selbstverständlich, dass sich im Wochenbett und nach der Geburt Glücksgefühle entwickeln.

Die hormonelle Veränderung und die körperliche Anstrengung in einer Schwangerschaft und während der Geburt sind für jede Frau eine Herausforderung. Bei einigen abgeschieden lebenden Naturvölkern ist es noch heute so, dass Schwangerschaft und Geburt etwas magisches zugeschrieben wird. Bei indianischen Stämmen, müssen sich Mütter in den ersten Wochen nach der Geburt um nichts anderes kümmern, als darum, sich selbst wieder zu kräftigen und ihr Kind zu nähren. Sie werden von der Gemeinschaft in dieser Zeit unterstützt und versorgt.

Frauen finden heute in der modernen Medizin zwar mehr Sicherheit im Bezug auf Geburtsrisiken bzw. Risikoschwangerschaften, aber dem genetischen Skript aus alter Menschheitsgeschichte, als Mutter in einer Gemeinschaft aufgehoben und unterstützt zu sein, entspricht unsere mobile Leistungsgesellschaft nicht.

Viele Frauen bekommen ihr erstes Kind und müssen sich von Anfang an alleine um alles kümmern. Die Familien leben häufig weit entfernt, der Partner ist auf Dienstreisen, die nahen Freundinnen sind alle noch berufstätig. Die Entwicklung unserer hochtechnisierten Gesellschaft passt nicht zu den seelischen Bedürfnissen einer Mutter im Wochenbett. Die Seele einer Mutter sehnt sich nach Schutz und Geborgenheit und schon allein das ist Grund genug, dass eine Frau sich im Wochenbett eher alleine und einsam fühlt und ihr Kind nicht bedingungslos annehmen kann.

„Kinder suchen sich oft nicht den besten Zeitpunkt aus, um auf die Welt zu kommen.” Es kommt nicht selten vor, dass sich die Freude über eine Schwangerschaft mit Lebensereignissen mischt, die traurig sind. Freude und Leid sind häufig nah beieinander. Es ist bedrückend, wenn während der Schwangerschaft ein nahestehendes wichtiges Familienmitglied schwer erkrankt oder die Familie einen Verlust zu verarbeiten hat.

Die hormonellen Veränderungen machen Frauen durchlässiger für &Auuml;ngste und ungeschützter. Seelische Belastungen und Konflikte lassen sich nicht so gut verdrängen oder abwehren, wie im beruflichen Alltag. Gerade die Leistungsgesellschaft verführt dazu, emotionale Konflikte, mangelndes Selbstwertgefühl über Leistung zu kompensieren. Häufig merken wir gar nicht wie schwer unser Unterbewusstsein belastet ist und was sich alles angesammelt hat.

Die erhöhte Sensibilität in der Schwangerschaft und nach der Geburt ist biologisch sinnvoll. Sie dient dem Schutz von Mutter und Kind, Störungen intuitiv rechtzeitig zu erkennen und zu erfassen und Gefahren abzuwenden. Dieser biologisch sinnvolle Zugang zu verstärkter Intuition kann aber dazu führen, dass angestaute Gefühle, meistens Trauer und Angst, aber auch Wut hochdrängen. Das Wochenbett bringt Mütter zu mehr Stille, lässt das Leben anhalten, lässt dadurch aber auch mehr Raum für Selbstwahrnehmung und unbewusste Gefühle. Im Wochenbett können wir uns nicht gut ablenken oder verbergen. Das Neugeborene spiegelt unsere Bedürfnisse nach Bindung und Gehaltenwerden und unsere Schutzlosigkeit. Das Wochenbett ist eine Herausforderung zu ehrlicher Begegnung. Auf diese gefühlsintensive Erfahrung sind die meisten Frauen nicht vorbereitet und fühlen sich mit ihrer erhöhten Sensibilität und Offenheit überfordert.

Schwangerschaft und Geburt haben etwas mit zulassen, loslassen und tiefem Vertrauen ins Leben zu tun. Deshalb sind die Erfahrungen von Schwangerschaft und Geburt eine Chance, zu persönlicher Reife und Wachstum. Eine Wochenbett-Depression ist häufig Ausdruck einer hohen Selbstverunsicherung mit dem Wunsch nach Sicherheit und Orientierung. In einer liebevollen geschützten Umgebung stabilisieren sich die meisten Frauen sehr schnell. Dieses seelische Wachstum hat etwas mit Selbstannahme, Selbstakzeptanz, Offenheit, Ehrlichkeit, Authentizität zu tun und nicht mit Leistung. Jede Mutter wünscht sich ihr Kind willkommen zu heißen und bedingungslos zu lieben, dies setzt jedoch voraus, dass sie sich selbst, so wie sie ist, annehmen und wertschätzen kann. Babies brauchen authentische Mütter, keine perfekten Mütter. Es ist eine neue Bindung und Beziehung, die entsteht und da kann es wie in allen Beziehungen zu Missverständnissen und Konflikten kommen.

Die Seele strebt nicht nach Perfektion, sondern nach Ganzheit und gerade das Wochenbett ist ein Erfahrungsraum, den unsere Seele nutzt, ganz zu werden. Ein Verständnis dieser Psychodynamik ist wichtig, um eine reaktive depressive Entwicklung im Wochenbett zu verstehen. Sie hat nichts mit persönlichem Versagen zu tun, sondern ist eine Chance, das eigene Leben zu klären und neu zu ordnen.

Eine besonders schmerzhafte Geburt, ein Notkaiserschnitt, hoher Blutverlust sowie eine Frühgeburt sind ebenfalls Erlebnisse, die das Mutterglück überschatten und eine depressive Reaktion auslösen können. Eine traumatische Geburtserfahrung bedarf ebenfalls der positiven Integration in das Selbstkonzept. Es ist kein Versagen, wenn eine Mutter, die Geburt nicht alleine vollenden kann oder ihr Baby zum Beispiel aufgrund einer Infektion Wochen zu früh kommt. Diese Erlebnisse positiv zu verarbeiten und sich bewusst zu machen, welche Stärke die betroffene Mutter aus dieser Erfahrung für sich und ihr Kind ziehen kann, ist die Voraussetzung, dem Leben wieder vertrauen zu können und die Gefühle zum Kind fließen lassen zu können.

Frauen, die in ihrem Leben körperliche Gewalt erlebt haben und diese noch nicht verarbeitet und integriert haben, können gegenüber ihrem Baby Gewaltphantasien und Bilder haben. Solange ihnen bewusst ist, dass es Bilder sind, sie selbst im Leben und in der Realität aber gut verankert sind, haben sie die Kontrolle über ihr Handeln. Bilder von Gewalt oder das Empfinden im eigenen Kind einen Aggressor zu sehen, können sehr bedrohlich und belastend sein. Diese Empfindungen kommen von nicht reifen unentwickelten inneren Kindanteilen aus der eigenen Kindheit, die die Welt als unsicher und bedrohlich erlebten. Sollten sich in den ersten Wochen nach der Entbindung solche Bilder oder Impulse melden, sind das Projektionen der unverarbeiteten Gewalterlebnisse auf das Kind. Die Auseinandersetzung mit diesen Projektionen ist eine Chance, die eigenen Verletzungen noch einmal anzuschauen und zu verarbeiten. Es ist gerade für Frauen, die aus Familien kommen, in denen Gewalt seit Generationen eine Rolle spielt, die Chance, dieses Thema in ihrer Familie und in der Beziehung zu ihrem Kind enden zu lassen. Sozusagen eine neues Familienskript zu entwickeln, „ich habe den Mut, mich weiter zu entwickeln und mich meinen unbewussten Schattenanteilen zu stellen. Ich übertrage sie nicht weiter, indem ich sie verdränge und leugne und dadurch selbst in meinen kindlichen Wutgefühlen oder Angstgefühlen stecken bleibe.”

Mutterglück stellt sich nicht immer sofort ein, eine Wochenbett-Depression aktiv zu bewältigen erfordert Mühe und Arbeit, aber dann wird das Mutterglück durchkommen und da sein. Die Wochenbett-Depression als Ausdruck einer psychodynamischen Entwicklung bzw. unbewusster neurotischer Konflikte lässt sich in der ambulanten Einzeltherapie gut auffangen und stützend begleiten. Je mehr das Leben neu geordnet ist, um so mehr Stärke, Selbstbewusstsein und Glücksgefühle stellen sich ein.

Die Wochenbett-Depression als reaktive depressive Entwicklung ist differentialdiagnostisch von schweren Persönlichkeitsstörungen bzw. psychiatrischen Erkrankungen abzugrenzen, wie zum Beispiel, die Borderlineerkrankung, die Manisch-depressive bipolare Störung. Wenn diese Diagnosen zu einem von Schwangerschaft und Geburt unabhängigen Zeitpunkt gestellt wurden, kann es im Wochenbett durch die hormonellen Veränderungen bzw. die psychodynamischen Aspekte ebenfalls zu einer Destabilisierung kommen. Wenn Frauen eine dieser Grunderkrankungen haben, ist es wichtig, diese Erkrankung sehr ernst zu nehmen und in der Familie gut zu beobachten. Sollten sich Realitätsverlust bzw. psychotische Symptome im Wochenbett verstärken, ist zu entscheiden, ob die Mutter mit ihrem Kind in einer Fachklinik stationär aufgenommen werden sollte oder je nach Schweregrad der Symptome zunächst alleine stationär stabilisiert werden sollte.